Hauptperson der «Komödie in Weiss» ist Frau Brand, etwa 70 bis 75jährig, die nach einem schweren Unfall
im Spital liegt: Ein Vierzigtönner – Tyrannosaurus rex – hat sie beinahe zerquetscht. Die Begegnungen der scheinbar
hilflosen Patientin mit dem Spitalpersonal – Krankenschwestern, Ärzte, Physiotherapeutin – und dem Pfarrer, der sie besucht,
nehmen oft eine unerwartete Wendung, infolge der inneren Kraft dieser eigenwilligen Frau, die eine starke Persönlichkeit ist.
Dank ihrer Weisheit, Lebenserfahrung und Herzenswärme wird die Patientin Brand allmählich zur Betreuerin
ihrer Helfer, die ihre beruflichen und privaten Probleme ins Krankenzimmer tragen. Der schüchterne, von seinen Kollegen
bedrängte Pfarrer mit seiner geheimen Wettleidenschaft, die Wandlung der zackigen Physiotherapeutin in eine Verliebte und ihr
Kulturkonflikt mit ihrem Verlobten, einem japanischen Judolehrer, die englische Krankenschwester aus Sri Lanka, die
eigentlich einen Teeladen eröffnen möchte, der joviale Chefarzt, der Frau Brand bewundert und so an alte Zeiten erinnert,
der einsame junge Assistenzarzt: menschliche Konflikte, die in witzigen Dialogen Gestalt annehmen und überraschend
gelöst werden. Die Spannweite der Gedanken reicht vom Philosophen Kenko, einem japanischen Eremiten des 14.
Jahrhunderts, bis zu Mutmassungen über die Kriegsstrategie von Ausserirdischen. Die moderne Zivilisation wird in amüsanter
Weise kritisch kommentiert: von den Kopfwehpillen, die Kopfweh machen, bis zu den Auswirkungen des Elektrosmogs, den die
modernen Kommunikationsmittel erzeugen, von den Folgen «grüner» Architektur bis zu neuen Wohnformen für das dritte
Lebensalter.
Tyrannosaurus rex ist ein unterhaltsames Plädoyer für das Alter, für Weisheit und Lebenserfahrung:
Grey Power in Form einer Komödie. Und tatsächlich übernimmt Frau Brand am Ende energisch die Macht.
Uraufführung im Kellertheater Winterthur: 8. Januar 2000
Frau Brand: | Edith Golay |
Pfarrer: | Walter Ruch |
Physiotherapeutin: | Carola Irlacher |
Krankenschwester: | Catharina Joss |
Hilfsschwester: | Maria Lena Skarlatos |
Chefarzt: | Bruno Kocher |
Assistenzarzt: | Christoph Rücker |
Regie und Bühnenbild: | Albert Michel Bosshard |
Musik (Fagott): | Nathalie Blaser und Catrina Bolli |
Edith Golay (Frau Brand) und Walter Ruch (Pfarrer) in Tyrannosaurus rex, Kellertheater Winterthur, 2000. (Photo: Bruno Bührer)
Patientin und Therapeutin: Edith Golay (Frau Brand) und Carola Irlacher (Physiotherapeutin). (Photo: Bruno Bührer)
Edith Golay (Frau Brand), Walter Ruch (Pfarrer) und Carola Irlacher (Physiotherapeutin). (Photo: Bruno Bührer)
Wie eine unerschrockene, ältere Patientin allmählich ein ganzes Spital
in die Tasche steckt, zeigt die amüsante Komödie «Tyrannosaurus
rex» von Irène Bourquin. [ … ]
Als die Patientin so weit genesen ist, dass sie aus dem Spital entlassen werden kann,
wird dies von allen Beteiligten, die sie so richtig um den Finger gewickelt hat, aufrichtig
bedauert - doch selbstverständlich hat die umtriebige Seniorin schon entsprechend
vorgesorgt und wartet mit einer höchst überraschenden Lösung
auf, sodass das Stück eigentlich auch «Tyrannosaurus regina»
heissen könnte … [ … ]
Die Autorin versteht ihr Stück nicht nur als unterhaltsames Plädoyer für
das Alter und gegen die vorzeitige Entsorgung von noch voll lebenstüchtigen
älteren Menschen aus dem aktiven Leben, sondern übt auch diskrete
Kritik an allerlei Missständen im heutigen Spitalbetrieb – von der Vereinnahmung
der Patienten durch herablassende Wir-Formulierungen über das offenbar nur
schlecht verträgliche Nebeneinander von Handys und Herzschrittmachern sowie
den chronischen Zeitmangel der Ärzte bis zu Finanzierungsproblemen.
Sonja Augustin in: Zürcher Oberländer, 10. 1. 2000
Die 70jährige Frau Brand, rekonvaleszent nach mehreren schweren Operationen, stellt ein ganzes Privatspital auf den Kopf. Sie wird von der Therapierten zur Therapeutin und ermöglicht den Angestellten, ihre Träume zu verwirklichen – ein Glücksgott, aus einem Unglück geboren. Edith Golay spielt ihn, und sie behauptet sich jederzeit im Mittelpunkt. Der Regisseur Albert Michel Bosshard lässt die Gehübungen der Patientin wie auch die Auftritte der Belegschaft von einem humoristischen Live-Fagott rhythmisch unterlegen.
Th. in: NZZ, 10. 1. 2000
Das zweite Theaterstück Irène Bourquins sieht an der Oberfläche
nach Zivilisationskritik aus, verpackt in eine unterhaltsame Geschichte, doch darunter
wartet der Mensch, der dem anderen Mitmensch ist oder zumindest sein will, was jener
nicht immer schätzt. [ … ]
Instinktiv spüren alle, dass hier eine liegt, die ihnen an Erfahrung und Wärme
um einiges voraus ist, die mühelos erlebtes Leben gegen angelerntes Wissen
ausspielen kann. Alle spüren den Vorsprung, den ihr ihr Alter gibt, und alle tragen
ihre Probleme ins Krankenzimmer. [ … ]
Irène Bourquin erweist sich als gute Beobachterin des Dialogs zwischen Jung
und Alt, zwischen Hilfesuchenden und Helfenwollenden. Frau Brand vermag jene durchaus
zu tyrannisieren, die ihr ja helfen sollten. Edith Golay gibt ihr die nötige Schläue,
hinter der eine behäbige Herzlichkeit steckt; die Weisheit eines reichen Lebens,
die aber kaum Widerspruch duldet [ … ]
Mit der dramaturgischen Konzentration auf die Hauptfigur, mit den Anspielungen auf
den japanischen oder indischen Kulturkreis, mit feinen Seitenhieben auf den Spitalalltag
hält uns die Autorin einen Spiegel vor.
Dieter Langhart-Richli in: Stadtblatt, 27. 1. 2000