Angepirscht die Grillen, Waldgut Verlag, Reihe lektur, Band 16, Frauenfeld 2007, 92 Seiten, Umschlag Handpressendruck Atelier Bodoni, Inhalt Digitaldruck.
Neben Prosa, Theaterstücken und Hörspielen hat Irène Bourquin
immer Gedichte geschrieben. Während es in den erzählenden und
dramatischen Texten meist um die Wechselwirkung zwischen Menschen, um
soziale Anliegen, um Politik geht, bewegen sich viele Gedichte
buchstäblich in der Natur, und in «Patmos» stehen die
Landschaft und Landschaften mit Menschen im Vordergrund. In ihren neusten
Gedichten sind zwar die Menschen nicht verschwunden, aber sie spielen
keine tragenden Rollen. Es bleibt der menschliche Standpunkt in der
Betrachtung, der Beschreibung und im Schreiben der Landschaft.
Im Zyklus «Angepirscht die Grillen» leben Begriffe wie
Raumgewebe, Sturmweiss, Blütenpeitschen, Flatterschwarm,
Waldgewölk als Selbstverständlichkeiten – oder es sind
Alle Poren / offen / für Regen.
Im Zyklus «Im Sonnengelb dreht sich die Uhr» zeigt sich Irène
Bourquins Verbundenheit mit dem Tessin in wunderbaren Wort-Streifzügen
durch bekannte Landschaften oder verwunschene Winkel.
Man könnte sich verlieren in diesen Landschaften; man könnte
aber auch sich hineinlegen – und hören und fühlen und spüren.
Beat Brechbühl
Ein Raumgewebe
der Wald
braun und silbergrau
schuppig und glatt
die Kette
schillernd und flirrend
der Schuss
rieselndes Wasser
ein Lufthauch
gesprächige Blätter
die Schlingen der Vogelstimmen
als Webfehler dröhnt
ein Traktor
Isole di Brissago
Zu malen wären
zwei Baumarchen still
treibend
im bläulichen Nebel
sanftes Pastell
zwischen See
und Nirgendwo
Das Buch ist bei der Autorin noch erhältlich.
Kleine lyrische Gebilde setzen sich aufs weisse Papier. Sie umfassen im
Maximalfall nicht mehr als fünfzehn Zeilen. Aber sie zeugen von einer
grossen Aufmerksamkeit, von einer geradezu meditativen Intensität.
Denn Augen und Ohren öffnen sich weit für minimale Bewegungen, für
kaum wahrnehmbare Geräusche und farbliche Nuancen. Alles Spektakuläre
bleibt in Irène Bourquins Gedichten draussen; dafür vernehmen wir das
«Birkengeriesel im Wind» oder die Konversation «gesprächiger Blätter».
Ihre Sujets bezieht sie aus der Natur: dem See und Teich, der Wiese und
dem Wald, dem Himmel und der Luft. So fügen sich die Gedichte zu einem
Jahreszeitenzyklus, gefolgt von Impressionen aus dem Tessin. Dabei
öffnet sich ein erstaunlich weites Farbspektrum, das vom Milchblau des
Sommerhimmels über das wuchernde Grün der Feuchtgebiete, das «Kupferlicht
in kahlen Buchen» und das winterliche Tannenschwarz bis zum «bimmelnden
Voralpengrün» einer Frühlingslandschaft reicht. Auf der klanglichen
Ebene fallen dagegen die Häufung bestimmter Vokale sowie die wiederholte
Verwendung von Alliterationen auf, die besonders im mündlichen Vortrag
ihre Wirkung entfalten dürften.
Doch steht nicht die Kreation beschaulicher Naturbilder allein im
Vordergrund. Oft mischen sich Störfaktoren wie Kampfjets, Motorsägen,
Strassenverkehr und Traktoren ein, welche die «Pfotenstille» durchschneiden.
Auch nimmt man an Fluchtbewegungen der Tiere teil, ahnt deren baldigen
Tod [ … ]. Ebenso weiss Irène Bourquin mit suggestiver Kraft ein
bedrohliches Gewitter zu evozieren: «Grau in Grau verzahnt / Gewitterwolken
/ Hitzeschrillen / flüssig die Luft [ … ]». Ihre Bilder lässt die Lyrikerin
einfach stehen, was unbedingt als Gewinn gedeutet werden darf – ein
einziges Mal nur schickt sie eine Deutung hinterher. Lesend stösst man auf
Imaginationen, die durchaus ein Schmunzeln erzeugen können: etwa jener
Ponte dei Salti – ein «harmonischer Zweiklang / der Brücke die leis /
die Steinbrauen hebt [ … ]».
[ … ]
Einer lobenswerten Gewohnheit folgend, hat der Verlag auch diesmal den
Lyrikband ausgesprochen schön gestaltet. In satten Farben leuchtet er den
Lesewilligen entgegen – ein wirksames Antidot gegen graue Herbsttage.
Beatrice Eichmann-Leutenegger in: NZZ, 18. 9. 2007
Irène Bourquin, ihres Zeichens Dramatikerin, Hörspielautorin, Journalistin,
Erzählerin [ … ], ist als Lyrikerin eine Anführerin und Mutmacherin für
eine Art konservative Revolution der Poesie: zeitgenössisch in Form und
Format, zeitlos, was die Aussage ihrer Lyrik betrifft. Die ersten 56
Gedichte des neuen Lyrikbandes «Angepirscht die Grillen» siedeln
ausnahmslos in der Natur, arrangiert zu einem Jahreszeitenzyklus, der
aber, und hier stutzt man, mit dem Frühling nicht beginnt, sondern endet.
Bourquin erweist sich als Meisterin konziser Momentaufnahmen. Auf kleinstem
Raum entsteht ein Weltausschnitt, unverrückbar hingestellt vor Leserin
und Leser, sprachlich gestutzt, reduziert, geschliffen, aber nie ohne
die für die Dichterin wichtige feinste Farbnuance. [ … ] «Fliessendes
Silbergrün» lesen wir in einem Sommergedicht, «leuchtgrün»,
«kaltrosa». Und fünf Farbtöne machen wir aus in einem zehnzeiligen
Herbstgedicht – und sind dennoch nie überfordert. Auch Begriffe wie
«Raumgewebe», «Waldgewölk», «Flatterschwarm» erscheinen als
Selbstverständlichkeiten. Uns sind, Bourquin nachgesprochen, «Alle Poren
/ offen / für Regen».
Aber nicht nur für diese Begriffe sind wir offen, auch für die Botschaften,
die sich einnisten in die vorerst immer heil scheinende Idylle. Und laut
werden können auf eine Weise, die wir alle kennen und so gar nicht mögen:
«ein Kampfjet / schneidet die Luft», «als Webfehler dröhnt / ein Traktor»,
«Motorsägen röhren / töten / den letzten Nerv». Keine beschaulichen
Naturbilder sind es also, die Irène Bourquin uns liefert; aber schöne
trotzdem, weil eben welthaltig stimmig – und ohne Zeige-, geschweige denn
Drohfinger präsentiert.
[ … ] Im zweiten Teil des Buches dann vierzehn Tessin-Gedichte: lyrische
Postkarten gleichsam, die berühren, die aufzuheben und immer wieder zu
lesen sich lohnt.
Fred Kurer in: Der Landbote, 27. 11. 2007
«Zuweilen sind es geradezu naturalistische (Farb-)Klänge, die in Irène Bourquins Gedichtband «Angepirscht die Grillen» beeindrucken. Ab und zu tauchen Störenfriede der Zivilisation auf und durchbrechen die Idylle: Flugzeuge durchkreuzen gleich mehrfach die Gedichte [ … ]
Markus Bundi in: Wiener Zeitung.at, 30. 11. 2007
«Die Poesie von Irène Bourquin steht mit beiden Füssen
auf der Erde, aber sie macht, dass dieselbe Erde voller Zauber sein kann.
[ … ]
Ein Band Gedichte, der den Menschen sehr knapp hält. Er ist
enthalten als Mittler, Weiser in die Sprache hinein, Übersetzer von
Naturmomenten, aber nicht als Person oder Ausdruck von Befindlichkeit.
Loerke hat das mal gesagt, dass es ihm mehr um den «Gesang der
Dinge» gehe, als um ihn selbst. Seine Perspektive der Erdnähe
findet man auch bei Bourquins Gedichten wieder. [ … ]
es ist oft das Licht, die Luft, der Himmel und im Gegensatz dazu die
Schwere der Präsenz von Wald, Fels, Schnee, Stein, See, und dorthinein
findet der Mensch mit Jets, die schneidend durch die Luft gehen, mit
röhrenden Motorsägen oder mit Weggeworfenem, das im Herbstlaub
überbleibt. [ … ]
Damit sind diese Gedichte welthaltige Aufnahmen und keine blosse
Naturlyrik, genau beobachtete Gespräche Mensch zu Natur, Natur zum
Menschen. Die Einfachheit und Stille, die es braucht, um in diesen Dialog
einzutreten, finden sich wieder in Form und Struktur von Bourquins Lyrik.
[ … ] Die vielen bildhaften Worte wirken nie gesucht,
klingen aus und nach, sind selbst Resonanz aus intensiver Zwiesprache.
Bourquins Widmung an die Landschaften und die Jahreszeiten und das
Natürliche darin ist kein Rückzug in eine Gegenwelt, sondern
ein Öffnen in die Stille und Wahrhaftigkeit, ein bewusstes Aufschliessen,
ein Raumschaffen für neuen Verkehr mit der alten Welt, ausgehend von
ihrem poetischen Gehalt. [ … ] Da werden aus den beiden
Bögen einer typischen alten römischen Steinbrücke im
Tessin «Steinbrauen» und die in den Lago Maggiore getupften
Brissago-Inseln zu «Baumarchen»: Beispiele für die kleinen
wundervollen Momente in den Gedichten von Irène Bourquin, die eingebettet
sind in dichte, immer stimmige Kompositionen. Pastell und genauer Strich.
Graphit und weiche Farbe. Gemalt und gezeichnet und immer gekonnt.» [ … ]
Frank Milautzcki in: Titel-Magazin, 10. 12. 2007
www.fixpoetry.com, 1. 7. 2009
«Zu malen wären / zwei Baumarchen still / treibend / im bläulichen Nebel / sanftes Pastell / zwischen See / und Nirgendwo». Sieben kurze Verszeilen oder 16 Wörter nur benötigt die Schweizer Autorin Irène Bourquin, um vor unserem inneren Auge ein Gemälde entstehen zu lassen, und nicht nur das: Geräusch, Geruch, der Anflug eines Gefühls, einer Stimmung, wird zeitgleich mittransportiert. [ … ] Das tragende Thema im Band «Angepirscht die Grillen» ist die Natur, wobei der Mensch im Hintergrund steht, oder, wie es der Verlagstext formuliert: «Es bleibt der menschliche Standpunkt in der Betrachtung, der Beschreibung und im Schreiben der Landschaft.» Die Geschichten zu den Landschaftsausschnitten entstehen im Kopf des Lesers, und diese sind sehr zeitgemäß, keine durchwegs beschauliche Idylle also, die uns des Nachdenkens enthebt, aber auch kein erhobener Zeigefinger. Vielmehr eine Einladung, aus den wenigen, scharf konturierten, kunstvoll kombinierten Versen etwas eigenes zu machen.
Carolina Schutti, Innsbrucker Wochenendgespräche 2010